Fünf entscheidende Faktoren bestimmen den Erfolg eines Spin Off

 

Warum entwickelt Unternehmer und Start-up-Gründer Simon Vestner von der Spine GmbH neue digitale Services in einem Spin Off außerhalb des Kernunternehmens Vestner Aufzüge? Was versteht Start-up-Gründer Merlin Lauenburg von der FörderProfi GmbH unter „Purpose Driven“ und wie bewertet Company Builder Matthias Friese von XPRESS Ventures die Rolle von Teams bei der Ideenentwicklung?

│ AUTOR:INNEN
Sonja Warschkow (WILO SE), Dominique René Fara (WILO SE), Carla Leißing (WILO SE), Steffen Kinkel (HKA), Sebastian Beiner (HKA), Thomas Trabert (HHL), Claudia Lehmann (HHL), Jannik Wrede (Viessmann Wärme), Kai Squillante (BLANC & FISCHER)

Unternehmer und Start-up-Gründer Matthias Friese, Merlin Lauenburg und Simon Vestner treiben den industriellen Wandel mittelständischer Unternehmen voran. Sie setzten entschieden auf Kooperation und Vernetzung und arbeiten an der digitalen Transformation des Mittelstands:
→ Sie entwickeln unabhängig und agil vom Kernunternehmen digitale Geschäftsmodelle und Services,
→ agieren kundenzentriert,
→ stehen in enger Kooperation mit einem bestehenden Kernunternehmen und
→ sichern die Zukunftsfähigkeit bestehender, mittelständischer Unternehmen.

Ihr Wissen und ihre Erfahrungen bilden als Best Practice-Beispiele die Basis des Rockstarmodells. Es ist das Ergebnis einer qualitativen Analyse im Rahmen des Verbundprojekts AgilHybrid, mit Beteiligung der Hochschule Karlsruhe (HKA) und des Unternehmens WILO SE. Die Datenerhebung erfolgte 2021 auf Basis einer Auswertung von 10 Interviews mit Unternehmen, die mindestens ein neues digitales Geschäftsmodell entwickelt hatten. Die Interviews führten Dominique René Fara und Sonja Warschkow.

Aufbruch durch Perspektivwechsel

Vor einigen Jahren fragte Simon Vestner seine Kunden: „Wie stellen Sie sich den Aufzug der Zukunft vor?“ Damals war er noch in dritter Generation als Geschäftsführer im Familienunternehmen Vestner Aufzüge beschäftigt. Den Betrieb hatte 1930 sein Großvater in München gegründet.

Das Feedback der Kunden lautete, dass sie sich mehr Transparenz über die Fahrstuhlnutzung und weniger Störungen wünschten und vor allem wollten sie nicht immer erst beim Unternehmen nachfragen müssen, sondern selbst Zugriff auf relevante Daten haben.

Vestner verstand die Antworten als Auftrag und machte sich daran, die Kundenwünsche ins Digitale zu übersetzen. Von 2018-2020 verfolgte er noch die Idee, die neue digitale Geschäftsentwicklung über eine im Stammhaus angesiedelte Abteilung voranzubringen. Da bekam er allerdings deutlichen Gegenwind zu spüren. Zum einem fehlte das Verständnis, was sich mit Digitalisierung verbessern lassen könnte. Seine Aktivitäten riefen bei der Stammbelegschaft Ängste hervor, dass er das bestehende Aufzuggeschäft ruinieren könnte. Zum anderen gestaltete sich der Vertrieb eines neuen digitalen Geschäftsmodells über die Traditionsmarke schwierig.

1 │ Purpose-Driven-Kultur: Beißt sich an einem wichtigen Problem fest und lässt erst los, wenn der Erfolgshunger gestillt ist!

Digitalisierung baut auf Vernetzung und schafft neue Kooperationen

Vestner hat sich daher zur Ausgründung entschlossen und startete 2020 mit einem kleinen Team in Berlin das Start-up Digital Spine GmbH. Die „Aufzughelden“ sind das erste Digital-Spine-Produkt.

Zusätzlich suchte er sich Investor:innen. „Du gibst nur Geld aus für eine Idee, an die du selbst glaubst“, erklärt Vestner. Daher sei es wichtig gewesen, mit fremden Investoren zu arbeiten, die an seine Ideen und auch an sein Team glauben.

Purpose-Driven: Hürden sind versteckte Chancen

„Purpose-Driven arbeiten bedeutet für mich auch der Fokus auf Ergebnisse, auf den Sinn hinter etwas und weniger arbeiten zum Selbstzweck“ erklärt Start-up-Gründer Merlin Lauenburg von der Online-Plattform-FörderProfi im Interview gegenüber Fara und Warschkow. Die Plattform weist Endkunden schnell und zuverlässig den Weg durch den Förderdschungel.

Lauenburgs Vision, für die er jeden Tag aufsteht, für die er alles gibt, ist die Chance, Menschen durch die Beseitigung von bürokratischen Hürden bei Förderungen den Zugang zu klimafreundlichen und energieeffizienten Technologien zu ermöglichen. Nach diesem Ziel wählt er auch sein Team aus.

Lauenburg bringt es mit seiner Beschreibung auf dem Punkt, was eine Purpose-Driven-Kultur ausmacht: Agile Führungskräfte und Mitarbeitende richten ihre gemeinsame Strategie und ihre Entscheidungen an einem übergeordneten, sinnstiftendem Ziel aus. Sie beißen sich an diesem Ziel fest und begreifen Hürden als versteckte Chancen.

Der Fokus liegt wie bei Vestner auf den Kunden. Diese Herangehensweise beinhaltet eine große Offenheit für Iterationsphasen im Sinne des „Kill-your-Darling“. Im Vordergrund steht die Frage: „Wie löse ich echte Kundenprobleme“ und nicht: „Wie verkaufe ich meine Idee.“ Das Team orientiert sich bei seiner Arbeit an fundierten Markt- und Kennzahlen.

2│Geiles Team: Ist interdisziplinär & silofrei und zieht selbstorganisiert gemeinsam an einem Strang!

Company Builder Matthias Friese:
„Nicht die Digitalisierung ist die Schwierigkeit, sondern die Geschwindigkeit!“

Matthias Friese von XPRESS Ventures entwickelt in Serie Start-ups im Auftrag des Logistikunternehmens FIEGE Logistik Stiftung & Co. KG. Sie setzen Innovationsprojekte um und entwickeln praxisnah neue Konzepte und Geschäftsmodelle. XPRESS Ventures ist zudem Teil der Innovationsplattform Maschinenraum, entstanden aus einer Initiative der Viessmann Gruppe. Die Plattform bringt deutsche Mittelstands- und Familienunternehmen zusammen, „um gemeinsam Zukunftsthemen zu erschließen und die digitale Transformation des Mittelstands voranzutreiben.“

Disruptive Prozesse, bei dem bestehende Geschäftsmodelle, Produkte oder Dienstleistungen von neuen digitalen Lösungen weitgehend oder gar vollständig vom Markt verdrängt werden, sind für Matthias Friese nichts Neues. In seinem Interview für AgilHybrid erklärt er Dominique René Fara und Sonja Warschkow: „Automatisierung, Industrialisierung, Mechanisierung und jetzt kommt die Digitalisierung“. Aus seiner Sicht ist nicht die Digitalisierung die Schwierigkeit, sondern die Schnelligkeit, die sie mit sich bringt.

Um Schnelligkeit in der digitalen Geschäftsmodellentwicklung zu gewährleisten, braucht es agile Teams. Seiner Erfahrung nach gewinnen Teams vor allem außerhalb des traditionellen Unternehmens an Schnelligkeit, wenn sie eng mit dem Corporate aus den Kernunternehmen zusammenzuarbeiten. „Eine geile Company ist erst mal ein geiles Gründerteam. Wir investieren erst mal in Teams, nicht in Ideen. Wir gucken uns ganz genau an, wer sind die Menschen dahinter, was sind ihre Ziele, was ist ihre Missionen,“ erklärt Matthias Friese.

„Skin in the Game“:
Risikobereitschaft und Motivation sind entscheidend für den nachhaltigen Aufbau eines Spin Off

Innovationsprojekte erfolgreich umzusetzen, hängt nach Auswertung der Best-Practice-Beispiele daher entschieden vom Workflow im Team ab. Agile Teams arbeiten selbstorganisiert und erledigen komplexe Aufgaben besonders flexibel, kreativ und produktiv.

Das methodische Vorgehen ist geprägt durch eigenverantwortliches Arbeiten. „Silofrei“ bedeutet, dass der Satz: „Wir sind dafür nicht zuständig“, hier keinen Platz hat. Agile Teams agieren immer im Kontext und suchen nach Verbesserungsmöglichkeiten. Vor allem in den frühen Phasen zur Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle ist es wichtig, Generalist:innen ins Team zu holen.

Friese macht im Interview mit Fara und Warschkow aber noch auf zwei weitere Aspekte aufmerksam, die entscheidend sind für den nachhaltigen Aufbau eines Start-ups: Risikobereitschaft und Motivation. Das Commitment – das Ausmaß der Identifikation und Akzeptanz innerhalb eines Start-ups – wird maßgeblich davon beeinflusst, dass Menschen als Gründer:innen im Sinne eines „Skin in the Game“ am Spin Off beteiligt werden.

3 │ Nähe und Distanz: Autonom auf eigenem Kurs mit direkten Draht zum Kernunternehmen

Spin Off: Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sind essenziell

Um erfolgreich neue digitale Services oder Geschäftsmodelle zu entwickeln, benötigt ein Spin Off Unabhängigkeit und Distanz vom Stammhaus. Trotzdem ist der direkte Draht zur Top-Management-Ebene des Kernunternehmens wichtig. Das wird vor allem im Hinblick auf den im Beitrag weiter unten genannten fünften Erfolgsfaktor deutlich: der freie Zugang zu Ressourcen. Erst diese Kombination schafft den notwendigen Handlungsspielraum.

Das zeigt das Best-Practice-Beispiel der Online-Plattform Förderprofis. Sie geht auf eine Initiative von Mitarbeitenden bei Viessmann zurück. Sie brachten über das Innovationsinstrument „Kreativ Kollektiv“, das allen über 12 500 Mitarbeitenden von Viessmann zur Verfügung steht, ihre Geschäftsidee ein. Dort pitchten sie sich innerhalb des Konzerns durch verschiedene Gremien. Am Ende bewertete Viessmann die Idee als vielversprechend, mit einem großen Mehrwert für die Endkunden und Partner:innen von Viessmann.

In dieser Phase kam Merlin Lauenburg aus der Berliner Start-up-Szene dazu. Gemeinsam mit Hans- Moritz von Harling, einem langjährigen Mitarbeiter von Viessmann, entwickelten sie die Idee in einem kleinen Team weiter und gründeten das Start-up FörderProfi GmbH.

Lauenburg nennt als wesentlichen Erfolgsfaktor: „Einmal die Distanz, unbeschwert unberührt von den Corporate-Prozessen, die für ein großes Unternehmen sehr gut funktionieren und überlebenswichtig sind“, agieren zu können. Zum anderen war es wichtig, einen direkten Draht zum Kernunternehmen zu besitzen. Den sicherte Hans-Moritz von Harling für das Start-up.

4 │ Arbeitsweisen: Quick, dirty & agil und vor allem kundenzentriert

Kundenzentriert arbeiten: Impulsgeber für neue Ideen

Vestner erklärt im Interview gegenüber Fara und Warschkow, dass es für ihn entscheidend ist, flexibel zu bleiben. Er lässt sich immer wieder auf neue Impulse ein, unabhängig davon, wie sie aussehen. Um diesen Prozess abzusichern, baute sein Start-up, die Digital Spine GmbH, eine Innovationsplattform auf. „Das war aus meiner Sicht die beste Entscheidung, diese Innovationsplattform zu bauen (…) und sich dann auf die Impulse der Kunden einzulassen und zu hören, was sie denn gerne als Nächstes hätten,“ erklärt Vestner.

Traditionelle Betriebe sehen in den Entwicklungsphasen oft nur einen geringen Anteil an direktem Kundenkontakt vor. Um den herzustellen, braucht es sowohl Kommunikationsstrukturen als auch Plattformen, um Daten zu generieren und zu verarbeiten.

Neben Kundenzentriertheit identifiziert das Rockstarmodell die Arbeitsweisen „quick, dirty & agil“ als Erfolgsfaktoren. Diese Faktoren beschreiben iterative Prozesse, bei denen im ersten Schritt die Entwicklung eines minimal funktionsfähigen Produkts, Minimum Viable Product, kurz MVP, im Vordergrund steht. Das MVP wird möglichst schnell am Markt getestet.

Die Weiterentwicklung erfolgt dann mit den Informationen aus dem Kundenfeedback. Das verhindert Fehlentwicklungen und sichert eine bedürfnisorientierte Produktentwicklung ab.

„Unfair advantage“ – Spin Offs verfügen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: die Ressourcen des Kernunternehmens

Merlin Laubenburg schildert in seinem Interview, wie essenziell für das Start-up FörderProfi sowohl der Zugang zu den Corporate Möglichkeiten und die Zusammenarbeit mit dem Viessmann Marketing als auch die bestehenden Vertriebsstrukturen und das im Kernunternehmen vorhandene Know-how ist.

5 │ Ressourcen: Nutzt den unfairen Wettbewerbsvorteil des Kernunternehmens

Auch Matthias Friese bringt die Vorteile für ein ausgegründetes Spin Off in seinem Interview auf den Punkt: Start-ups benötigen eine solide finanzielle Ausstattung. Sie müssen in fünf Jahren das erreichen, wofür Unternehmen früher Jahrzehnte Zeit hatten. Mit dieser Konkurrenzsituation müssen bestehende Unternehmen umgehen können.

Mit einem Zugang zu den Ressourcen des Kernunternehmens verfügen Spin Offs gegenüber herkömmlichen Start-ups über einem „unfair advantage“, den unfairen Wettbewerbsvorteil. Die Vernetzung zwischen Start-up und Traditionsunternehmen ermöglicht es, schnell und erfolgreich eine neue digitale Geschäftsidee am Markt zu etablieren.

Dieser Vorteil zahlt auf alle Beteiligten ein und sichert sowohl die Zukunftsfähigkeit des Kernunternehmens als auch des Start-ups. Damit besitzen Unternehmen einen entscheidenden Vorteil gegenüber herkömmlichen Start-ups, die ohne die Unterstützung eines Kernunternehmens auskommen müssen.

Der Appell von Friese:
Massiv in Nachhaltigkeitstechnologien investieren

Matthias Frieses Appell im Interview gegenüber Fara und Warschkow an Politik, Mittelstand, große Dax, Corporates und die Gründerszene ist eindeutig: „Setzt euch zusammen (…) und sprecht miteinander. Wir sind gut dabei, aber vielleicht auch schon etwas hinten dran. Was ist die Essence, die jeder miteinbringen kann? (…) baut eure Egos ab, dafür haben wir weder Zeit noch Ressourcen (…) gefährliches Halbwissen auf allen Seiten, ist nicht hilfreich (…) und vor allem müssen wir viel, viel mehr im Sustainability-Technologie-Bereich machen.“

Digitale Geschäftsmodelle:
Mit welchen Hürden kämpfen deutsche Industrieunternehmen?

8 Hürden bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle

Projektbeteiligte des Beitrags

Dominique René Fara, Inhaber & Senior Consultant, startete im Jahr 2000 studiumsbegleitend als Unternehmensberater. Seit 2019 leitet er die Unternehmensberatung Tree Consulting. Nach seinem Studium arbeitet Dominique in unterschiedlichen Positionen des Personalbereichs, davon 10 Jahre in Führungspositionen. 2013 übernahm Dominique den Bereich People Development der WILO SE für die Themen Personal- und Führungskräfteentwicklung, Changemanagement, Coaching und Wissensmanagement. Auch New Work und die digitale Transformation gehören zu den Spezialgebieten, in denen er Menschen und Organisationen begleitet.

Im Projekt AgilHybrid übernahm Dominique 2019 die Projektleitung des Gesamtprojektes AgilHybrid im Auftrag der Firma WILO SE.

Sonja Warschkow war von Januar 2020 bis Dezember 2021 Werkstudentin bei dem praxisbeteiligten Unternehmen WILO SE im Bereich der Group Change Akademie und unterstützte das Projekt AgilHybrid sowie das erste Entwicklungsprogramm für digitale Entrepreneure bei der WILO SE. Sie absolvierte an der Hochschule Hamm-Lippstadt ihre Bachelor-Studien in dem Bereich interkulturelle Wirtschaftspsychologie und studiert den Masterstudiengang Entrepreneurship & Management an der Universität Liechtenstein. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich Prozesse und Strukturen neuer digitaler Geschäftsmodelle zu etablieren.

Im Projekt AgilHybrid arbeitete Sonja aktiv an der Entwicklung des Rockstarmodells für digitale Geschäftsmodelle mit.

Luisa Würdisch ist Wirtschaftspsychologin und startete 2019 bei der WILO SE im Bereich Young Professionals. Mit ihrem Wechsel in die Change Akademie unterstützte sie das Projekt AgilHybrid sowie das erste Entwicklungsprogramm für digitale Entrepreneure bei der WILO SE. Sie befasste sich bereits während ihres Masterstudiums mit der Digitalisierung der Ausbildung und bringt Erfahrungen aus verschiedenen Branchen mit. Ihr Schwerpunkt liegt insbesondere auf dem Bereich Aus- und Weiterbildung.

Im Projekt AgilHybrid ist Luisa vor allem für die konzeptionelle Planung und Vorbereitung des Projektabschlusses sowie die Endproduktion zuständig.

2022-02-06T18:30:49+01:00Tags: , |

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